„Mal doch mal ein hässliches Bild!“
Diese Aufforderung verwirrte mich zutiefst. Ein hässliches Bild malen? Ganz bewusst? Alles in mir wehrte sich gegen die gestellte Aufgabe. Wollte ich doch ein „schönes“ Bild malen. Ein Bild, das Anerkennung findet und meinen Ansprüchen und denen meiner Umgebung genügte. Es sollte eingerahmt und an die Wand gehängt werden.
„Ich häng mir doch nix Hässliches an die Wand“, dachte ich. Vor lauter Empörung hatte ich laut gedacht und das Gelächter der Kursleiterin klingt heute noch in meinen Ohren.
Wie kam es zu dieser merkwürdigen Aufforderung?
Blockaden gehören zum Malprozess
Ich war mal wieder in die Falle getappt. Nach einigen Jahren sprudelnder Kreativität waren die alten Sätze wieder aufgetaucht: „Ich kann nicht malen.“ „Wirklich, Kind, du nimmst besser keinen Stift in die Hand.“ „Das wird leider nur ein Befriedigend.“ „Kunst ist nicht so dein Fach.“ „Guck mal, wie schön die anderen malen können.“ Die Liste ist endlos. Kommt dir bekannt vor?
Auch von vielen unseren Kursteilnehmerinnen hören wir ähnliche Geschichten. Zu uns kommen Menschen, die eine Sehnsucht nach ihrer eigenen Kreativität spüren. Bevor sie an die Quelle ihrer Kreativität kommen können, müssen sie erst einmal gegen die inneren Stimmen wehren, die sie hart kritisieren.
Andere haben eine Vielzahl von Techniken gelernt und spüren, dass sie ihre ganz eigene Kreativität noch nicht gefunden haben. Mit ihren Bilder haben sie die Erwartungen anderer erfüllt. Ihre Seele hat keinen Weg in die Bilder gefunden.
Das weiße Blatt - Freund oder Gegner deiner Kreativität?
So stand auch ich eines Tages vor meiner Leinwand und nichts ging mehr. Die Vorfreude, die eine neue Leinwand sonst bei mir auslöste, war Resignation und Ideenlosigkeit gewichen. Mein Kopf war leer, keine Farbe berührte mich.
Geholfen haben mir ein Ausdrucksmalwochenende und das Buch „Kunst, Magie, Heilen - Eine poetische Forschungsreise“ von Cambra Skade.
Beim Ausdrucksmalen lernte ich, den Kopf auszuschalten und meinen Gefühlen auf die Spur zu kommen. Von Cambra Skade lernte ich, die Kraft der Närrin zu lieben.
Das Vorbild der Närrin - Malen jenseits der Konventionen
Im frühen Mittelalter war der Begriff „Narr“ negativ besetzt. Als Narren wurden z.B. Behinderte, Einfältige, Ungläubige und Versager bezeichnet. Wer nicht in die Gesellschaft passte wurde zum ungeliebten Außenseiter.
Im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit holten sich die Adeligen Narren und Närrinnen zur Unterhaltung an die Höfe. Diese Hofnarren waren Spaßmacher, aber auch Mahner. Sie sollten die Hofgesellschaft daran erinnern, wie schnell sie selbst in die Rolle des Narren fallen könnten.
Die Närrin wurde zur Gesellschaftskritikerin. Dadurch, dass die Konventionen der Gesellschaft für die Närrinnen und Narren nicht galten, konnten sie ungeschminkt die Wahrheit sagen. Darin lag eine große Freiheit. Den Begriff „Narrenfreiheit“ kennen wir heute noch. Die Närrin pfeift auf gesellschaftliche Regeln und schert sich nicht um die Meinung der anderen.
Genau diese Energie führt uns zur Quelle unserer Kreativität. Hört die Närrin den Satz „Du kannst nicht malen!“, antwortet sie lachend: „Prima! Dann kann ich herrlich herumspielen.“
Die Welt auf den Kopf stellen
Beim Intuitiven Malen geht es grundsätzlich darum, den Verstand auszuschalten und dich mit deinem Herzen zu verbinden. Es ist eine eher meditative Technik, die weg will, von der Vorschriften und Beschränkungen der Kunsttheorie. Dem Bild und dir selbst nahe zu kommen ist wichtiger, als der „Goldene Schnitt“. Was nicht heißen soll, dass es dir verboten ist, deine Kenntnisse und Fähigkeiten einzusetzen. Nur liegt der Schwerpunkt jenseits dessen.
Die Aufgabe der Närrin geht darüber hinaus. Ihre inneren Sätze heißen: „Ich tut es trotzdem.“ „Jetzt erst recht.“ „Ich halte euch einen Spiegel vor.“ „Ich pfeife auf eure Regeln.“ „Ich zeige euch, wer ich wirklich bin.“ „Ich pfeife auf eure Urteile.“
Die Närrin stellt die Welt auf den Kopf, um sie wieder zurecht zu rücken. Sie lässt sich nicht be-hindern. Sie erkennt ihre Grenzen und wirft sie als Stärken in die Welt.
Verbindest du dich mit der Energie der Närrin, brauchst du Mut. Auch die Bereitschaft, Regeln zu brechen, musst du mitbringen. Was du aber vor allem anderen brauchst, ist eine große Portion Spielfreude. Denn die Närrin verpackt ihre Kritik „mundgerecht“ mit einer großen Portion Humor. Sie ist phantasievoll und experimentierfreudig.
Die Freiheit des hässlichen Bildes
Wenn du dir erlaubst, ein hässliches Bild zu malen, öffnet sich dir ein weiter Raum. Du malst nicht nur einfach drauflos, sondern widersetzt dich bewusst den bekannten Regeln. Gruselige Gesichter, schrille Farben und wilde Formen finden sich auf deinen Bildern wieder. Male gegen die Regeln, die du kennst. Nimm zum Beispiel Farben, die nicht zusammen passen. Oder vergiss die Regel, nicht mehr als drei Farbspektren zu verwenden und schwelge in allen Farben des Malkastens. Perspektive ist eine tolle Sache. Trotzdem: Probiere einmal aus, die Perspektive bewusst zu verschieben. Dein Bild wird einen anderen Schwerpunkt bekommen. Du zeichnest nicht mehr leise, mit Bedacht und sorgfältig. Deine Bilder schreien ihre Botschaft ins Leben.
Je mehr Spaß du dabei hast, die (Kunst-) Welt zu verrücken, umso besser. Du hast die Kraft der Närrin dann verstanden, wenn du während des Malens unwillkürlich lachen musst. Dein vergnügtes Kichern, wenn du einen verrückten Einfall aufs Bild bringst, ist ein Geschenk an das Leben.
Hässliche Bilder irritieren die Betrachter. Sie regen zum Nachdenken an, rufen Empörung hervor oder werden ausgelacht. - Langweilig sind sie nie.
Was ist hässlich?
Hässlichkeit und Schönheit sind keine objektiven Größen. Sie sind geprägt von der Kultur, von Konventionen und Ausdruck des Mainstreams. Warum also sollten wir uns in unserer Kreativität beschränken lassen? Wer sollte beurteilen, ob deine Bilder große Kunst sind oder „nur“ Kritzeleien? Deine Bilder sind Ausdruck deiner Seele. Sie sind zart, kraftvoll, irritierend, schön, hässlich, begrenzt oder voller befreiendem Humor. Alles das sind Facetten deiner Kreativität, deiner Seele.
Hübsche Bilder haben ihre Berechtigung. Es tut gut, schöne Dinge zu betrachten und mag manchmal mit dem Leben versöhnen.
Die Welt verändern kann Kunst, die aufrüttelt und befreit. Du musst ja nicht gleich die ganze Welt verändern und deine hässlichen Bilder aufhängen musst du auch nicht. Gestehst du dir zu, deine Freiheit und deine Kreativität auszuschöpfen, wirst du dich verändern. Der Malprozess wird kraftvoll und vergnüglich. Die fertigen Bilder dürfen ruhig im Papierkorb verschwinden. Sie wirken trotzdem weiter.
Stärke die Närrin in dir
Nicht nur für deine Kunst kann die Närrin von großer Bedeutung für dich sein. Wäre es nicht schön, auch im Alltag weniger abhängig vom Urteil und von den Erwartungen anderer zu sein? Das geht sicher nicht von heute auf morgen. Aber es gibt einige kleine Übungen, die dir helfen können, deine innere Stärke zu finden. Ganz du selbst zu werden, fördert deine Resilienz. Je stabiler deine psychische Widerstandskraft ist, desto besser bist du vor einem Burnout geschützt.
Das Malen eines hässlichen Bildes kann ein erster Schritt zur Energie der Närrin sein.
Eine zweite Übung erfordert schon ein bisschen mehr Mut: Gehe einmal unperfekt aus dem Haus. Ziehe Kleidung an, deren Farbe und Stil nicht zusammen passen. Oder lasse dein Unterhemd ein kleines Stück aus der Hose hängen und unter dem Pulli hervorschauen. Beobachte mit Neugier und einem kleinen Lächeln, wie andere Menschen darauf reagieren. Natürlich ist es eher nicht ratsam, so bei deiner Arbeit oder auf einem Familienfest zu erscheinen. Aber warum nicht den Wocheneinkauf am Samstag zu diesem kleinen Experiment nutzen.
Eine andere spannende Übung ist, dich unkonventionell zu verhalten. Traust du dich, laut und falsch singend durch den Wald zu spazieren? Oder in der Fußgängerzone zur Musik der Straßenmusikanten zu tanzen?
Du wirst sicher einige schwierige Erfahrungen machen. Vielleicht zeigen dir Passanten eine Vogel, tuscheln oder schütteln die Köpfe. Aber du wirst auch das ein oder andere Lächeln im Gesicht der Menschen um dich herum aufleuchten sehen, wetten?
Mixed Media Art - Die Kunst der Närrin
Wohl keine andere Kunstform lädt so zum Spielen ein, wie Mixed Media Art. Kleben, malen, stempeln, drucken, Fotos transferieren sind nur einige Beispiele. Auch bei Mixed Media Art gibt es Regeln der Bildkomposition, bestimmte Techniken und Vorschläge der Gestaltung. Aber es ist besonders einfach, diese Regeln über Bord zu werfen und auszuprobieren, was möglich ist. Der Gedanke: „Wenn´s nix wird, klebe ich einfach was drüber oder nehme Gesso und übermale es wieder“ , schenkt viel Freiraum.
Die Hemmschwelle, ein hässliches Bild zu malen, ist geringer, wenn du die Gewissheit hast, es wieder verändern zu können. Hautnah kannst du so erfahren, was das Leben ist: Veränderung.
Die Kraft des Hässlichen spüren, heißt, dein Bild nicht in den Papierkorb zu werfen, sondern gerade sie an die Wand zu hängen und zu ihnen zu stehen. Wer hätte das Recht, darüber zu urteilen?
Ich habe meine Blockade längst überwunden. Eine ganze Reihe hässlicher Bilder sind entstanden und alle haben Spaß gemacht. Die Energie der Närrin hilft mir immer wieder. Wenn etwas nicht gelingt, nehme ich das misslungene Element und baue es aus. Verrutscht zum Beispiel ein Stempel, versuche ich, aus dem verwischten Element einen Schwerpunkt auf dem Bild zu gestalten. Kleckse ich Acrylfarbe auf ein nahezu fertiges Bild, nehme ich die Farbe und baue lauter neue Farbkleckse in mein Bild ein.
Manchmal ist das Bild dann endgültig ruiniert. Viel öfter jedoch, hat das vermeintliche Missgeschick eine neue Tür geöffnet, denn…
Kreativität öffnet Räume.
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